Mehr Achtsamkeit in der Arbeitswelt: Eine Win-Win-Situation für Unternehmer und Beschäftigte
Die Geschwindigkeit des Lebens hat zugenommen. Insbesondere im Arbeitsleben erfahren betriebliche Beschäftigte täglich die voranschreitende Digitalisierung durch multifunktionale Geschäftsprozesse. Worin sich das äußert? In Effizienz? Oder eher in digitaler Erschöpfung?
Wir können uns definitiv nicht gegen den digitalen Wandel wehren, denn wir befinden uns mittendrin. Wir sollten die fortschreitende Technologie auch nicht ablehnen, denn vieles im Geschäftsleben ist einfacher geworden. Vor allem in globalen Matrixorganisationen, welche in der Zusammenarbeit über digitale Kommunikationskanäle bei internationaler Projektarbeit profitieren. Den digitalen Wandel vorantreibend sollten wir uns jedoch fragen, welche neuen zusätzlichen Maßnahmen notwendig sind, um betriebliche Beschäftigte vor einer digitalen Erschöpfung zu bewahren. Denn der Mensch ist biologisch gesehen nicht gemacht für digitales Multitasking. Er ist und bleibt ein Mensch, der gerade nicht zu einer Maschine werden soll und auch nicht werden kann.
Der trendige Gesundheitswahn, der sich parallel zum Arbeitsleben entwickelt, kommt nicht von ungefähr. Die psychische Überbelastung am Arbeitsplatz durch die unkontrollierte Flut digitaler Medien versetzt Beschäftigte jeden Tag minütlich in eine stetige Stressituation auf höchstem Niveau.
Als Gegengewicht dazu müssten viele Menschen, biologisch ursprünglich als „Bewegungstiere“ ausgestattet, viel mehr Sport treiben, um etwas für ihre Gesundheit zu tun. Wenn sie es zeitlich schaffen. Oftmals bleibt aufgrund eines Schreibtischjobs und diverser anderer Verpflichtungen keine Möglichkeit, sich ausreichend zu bewegen. 45 % der Erwachsenen in Deutschland treiben keinen Sport. Einem dauerhaften Bewegungsmangel kann die Psyche oftmals nicht mehr Stand halten. Als Folge fällt der Beschäftigte längerfristig aus.
Neue Herausforderungen für das betriebliche Gesundheitsmanagement
Die beschriebene Entwicklung vor Augen geführt, müssen Unternehmen in Zeiten des sich beschleunigenden Arbeitslebens durch die unaufhaltsame Digitalisierung aller Geschäftsprozesse neue Ansätze für das betriebliche Gesundheitsmanagement finden. Denn grundsätzlich verkehrt wäre es zu glauben, man könne sich gegen die digitale Entwicklung wehren. Ebenso verkehrt wäre es, zu glauben, mit dem Angebot von Massageeinheiten am Arbeitsplatz oder Bezuschussung von Fitnessstudiomitgliedschaften könne man ausreichend etwas für die Gesundheit (physisch und psychisch) der betrieblich Beschäftigten tun.
Allzu oft ist das derzeitige Angebot in Unternehmen nicht ausreichend. Unternehmen müssen sich fragen, wie sie ihre Beschäftigten vor dem Hintergrund der digitalen Entwicklung verstärkt unterstützen können, um deren Gesundheit am Arbeitsplatz nachhaltig zu stabilisieren und langfristig im Hinblick auf die digitale Beschleunigung körperlich und mental zu stärken. Das Risiko, welches sitzende Tätigkeiten in globalen Matrixorganisationen mit globalen Verfügbarkeitsprämissen über digitale Kommunikationskanäle für die physische und psychische Gesundheit mit sich bringen, ist nicht zu unterschätzen. Vielmehr wirkt sich diese Art der Arbeitsorganisation massiv auf die Gesundheit der Beschäftigten eines Unternehmens aus.
In den letzten Jahren haben arbeitsbedingte psychische Belastungen vermehrt zugenommen. In Deutschland fallen jährlich ca. 32 Milliarden Euro an Kosten hierfür an.
Der Achtsamkeitsgedanke in der Mitarbeiterführung
Yoga für den Flow im Arbeitsleben
Wer Yoga regelmäßig praktiziert, kennt die reinigende und entschleunigende Wirkung. Die innere Klarheit, die die regelmäßige Yogapraxis uns schenkt. Vor der Yogastunde ist man noch abgehetzt, leicht aggressiv vom alltäglichen Terminstress, genervt von jedem, der sich einem auch nur ansatzweise in den Weg stellt. Nach der Yogastunde schwebt man mit einer inneren Ruhe und Gelassenheit und einem gedanklichen „Ach was soll`s…“ durch die Welt, und plötzlich sieht doch alles nicht mehr so grau, trist und unmöglich aus. Gerne bezeichne ich Yoga auch als Akupunktur für die Seele.
Christina Brown beschreibt in ihrem Buch „Yoga Bibel“ sehr treffend:
„Für viele Menschen ist ihr Smartphone das Erste, was sie morgens in die Hand nehmen, und das Letzte, auf das sie abends noch einen Blick werfen. Das ständige „Beschäftigtsein“ hat den persönlichen Freiraum eingeschränkt. Dieser Freiraum ist das Gegenteil von Stress, und ein Schlüsselfaktor, um Stress abbauen zu können. Während Stress den Horizont verengt und emotional verspannt, machen Freiräume uns locker und erweitern unseren Horizont. (…)
(…) Yoga-Haltungen ermöglichen es dem Körper, sich innerlich frei und weit zu fühlen. Sie wirken dem Stress durch Verbindung von Körper und Geist entgegen. (…)“.
Projiziert auf die Arbeitswelt ist es genau dieser Freiraum, der Beschäftigten durch ständige digitale Erreichbarkeit geraubt wird, um eine Erholung für die nächste Aufgabe, das nächste Meeting, den nächsten Arbeitstag oder die eigene berufliche Weiterentwicklung zuzulassen. Verletzt ein Arbeitgeber durch digitales „Verheizen“ seiner Beschäftigten nicht auch mittelbar seine ihm gemäß § 618 BGB obliegende Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer?
Es ist wahrlich nichts Neues, dass in Unternehmen Yogakurse praktiziert werden. Doch dieser Ansatz der Achtsamkeit müsste im Hinblick auf den wachsenden digitalen Stress immens intensiviert werden durch zusätzlich Einbindung des Achtsamkeitsgedankens in die Unternehmenskultur. Kein Beschäftigter kann zu Yogaeinheiten gezwungen werden, jedoch könnte eine Führungskraft auch Elemente aus dem Yoga für die eigene Führungspraxis adaptieren, so dass der Achtsamkeitsgedanke aus dem Yoga Einfluss auf die geführten Beschäftigten hätte. Der Grundsatz, den einem jeder Yogalehrer in jeder Yogastunde immer wieder vor Augen führt, nicht zu schauen, wie tief der Nachbar auf der anderen Matte in die jeweilige Bewegung einsteigen kann. Vielmehr soll der eigene Körper mit den eigenen Fähigkeiten wahrgenommen werden. Ein erstklassiger Führungsansatz, Beschäftigte anzuleiten, nicht nach den Leistungen anderer zu schielen. Sondern die eigenen Kompetenzen abzuwägen und gewinnbringend für das Team/die Organisation zu verbessern, wenn nötig. Die eigenen Grenzen zu akzeptieren, aber an der eigenen Weiterentwicklung zu arbeiten. Von dieser Grundeinstellung kann jedes Team und jeder Bereich in einem Unternehmen profitieren, so dass dies letztlich einem Miteinander im Arbeitsleben förderlich ist.
Sogar neue Organisationsstrukturen in Unternehmen wären eventuell einfacher möglich. Jeder bedient die Rolle entsprechend seiner tatsächlichen selbstbestimmten Fähigkeiten. Weiterentwicklung jederzeit gern gesehen, aber kein zwingendes Muss im Hier und Jetzt. Der Beschäftigte wird zum achtsamen und ehrlichen Umgang mit den eigenen Fähigkeiten sowie den Fähigkeiten der Kollegen aufgefordert.
Meditation für Führungskräfte
Genau wie Yoga macht auch Meditation den Geist frei. Und kann bei der Führung von Beschäftigten sogar helfen. Denn Meditation verändert etwas tief in uns. Es lässt uns bei konsequenter regelmäßiger Praxis uns mit uns selbst, unserem Körper und unseren Mitmenschen anders umgehen. Achtsamer.
Meditation fördert die Konzentrationsfähigkeit durch die Fokussierung auf ein Meditationsobjekt. Auch das Verhältnis zu Stress kann mit Meditation verändert werden und hat nachweislich Auswirkung auf das Stresshormon Kortisol. Mit einem regelmäßigen Meditationstraining kann man nachhaltig den Stresspegel senken, so bestätigt dies auch Birgit Schönberger in ihrem Artikel „Die heilende Kraft der Meditation“. Ein dauerhaft erhöhter Kortisolspiegel kann chronisch werden, und krank machen, das haben Studien erwiesen. Leicht entwickeln sich aus chronischem Stress emotionale, mentale oder physische Gesundheitsprobleme. Mediation kann dabei präventiv und heilend eingesetzt werden als eine den Kortisolspiegel senkende Maßnahme bei regelmäßiger Praxis.
Sie stellen sich nun sicher die Frage, wer macht denn so was? Meditieren im Unternehmen.
Sie werden staunen, dass immer mehr Unternehmen, wenn auch in der Minderheit, auf die Kraft der Meditation in der Entwicklung ihrer Führungskräfte setzen. Unternehmensberater und Meditationslehrer Paul Kothes gibt in seinem Buch „Mit Achtsamkeit in Führung“ in einem umfangreichen Best-Practice-Teil Tipps und Anregungen, wie man in verschiedenen Unternehmensbereichen Meditationstechniken und Achtsamkeit gezielt umsetzen kann.
Ebenso beschreibt uns Michael Schwalbach, selbst Unternehmensberater, Executive-Coach und Yogalehrer, in seinem Buch „Gute Führung durch Yoga und Meditation“ die mögliche Wirkung von Yoga und Meditation auf die Mitarbeiterführung in Unternehmen.
Alles nur ein Trend? Nein, ich denke nicht. Bereits im Jahr 2004 schrieb Lisa Becker in der FAZ in ihrem Artikel „Mit der Klarheit und Stärke eines Samurai“ wie Führungskräfte durch Zen-Meditation ihre Kraftzentren wecken können, indem sie mit sich und der Umwelt gelassener umgehen durch Konzentration auf das Wesentliche.
Die Gelassenheit und Achtsamkeit der Führungskraft wird sich ohne Zweifel auf das Beschäftigtenverhalten auswirken. So soll die Führungskraft doch beispielhaft vorangehen. Ein Versuch würde sich lohnen. Primär Führungskräften mit viel Mitarbeiterverantwortung könnte doch als neues Ziel für das folgende Geschäftsjahr am Jahresende neben Umsatzwachstumsvorgaben für die eigene Abteilung ebenso Achtsamkeitsübungen durch Meditation oder Yoga auferlegt werden? Als Umsetzung des Achtsamkeitsgedankens, ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur.
Ausblick
Die dargestellten Erörterungen sollen nicht dazu animieren, sich in die Eingangshalle des eigenen Unternehmens neben den Empfang einen Buddha aufzustellen, zu yogieren, zu meditieren und jeden neuen Gast mit einem dreifachen „Omm…“ zu begrüßen. Vielmehr geht der Denkansatz dieses Beitrags in die Richtung eines achtsamen Miteinanders in der heutigen Arbeitswelt. Ein Innehalten, und eine Reflexion dessen, was um uns herum derzeit digital für Beschäftigte passiert, soll bewirkt werden.
Unter sehr differenzierter Betrachtungsweise aller sich ergebenden Situationen. Es kann nicht pauschalisiert versprochen werden, dass die benannten Maßnahmen zu mehr Zufriedenheit und Gesundheit Ihrer Beschäftigten führen werden oder für jeden Betrieb geeignet sind. Vielmehr sollte bedachtsam ausgewählt werden, welche der beschriebenen Methoden für welchen Betrieb sinnvoll umsetzbar wären. Dies hängt nicht unwesentlich von den Beschäftigten selbst, deren Anzahl, der Branche und den gegebenen Organisationsstrukturen des jeweiligen Unternehmens ab.
Es sollen Wege dargestellt werden, die den Arbeitnehmer in der heutigen Zeit begleitend zum digitalen Wandel stabilisieren und gesund halten. Mehr Achtsamkeit in der Arbeitswelt: Eine Win-Win-Situation für Unternehmer und Beschäftigte.
Literaturhinweise:
Zacharias in: „Trends im betrieblichen Gesundheitsmanagement“, S. 36 ff.
Straub in “Encouraging Leadership – Ermutigend führen”, S. 228 ff.
Brown in „Yoga Bibel“, S. 346 ff.
Schönberger in: Psychologie heute, 03/2018, S. 21 ff.
Struhs-Wehr, „Betriebliches Gesundheitsmanagement und Führung“, S. 36 ff.